Reuchlin oder Luther
Judenfreundschaft und Judenfeindschaft im Zeitalter der Reformation
Der Titel "Reuchlin oder Luther?" spielt darauf an, daß hier zweierlei Verhältnis zu den Juden am Ausgang des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit herausgestellt werden soll: ein aufgeschlossen-freundliches sowie ein verschlossen-feindseliges. Letzteres, das Luthersche, hat in der Geschichte die Oberhand behalten und die Judenfeindschaft mit den Mitteln einer für den Protestantismus typischen Vermengung von Politik und Theologie tief und dauerhaft in der deutschen Kultur eingewurzelt. Hätte das von Reuchlin vorgeschlagene Verhältnis zu den Juden obsiegt, hätte die Beziehung zwischen Juden und Christen in Deutschland eine andere Entwicklung nehmen können. Die Zeitgenossen der Reformation hätten die Wahl gehabt (viel war ja damals von Freiheit die Rede und von Gewissen) – darum das Fragezeichen hinter meinen Titelworten. Bei einer besseren Wahl wäre die große Wende der Reformation fraglos auch der bedeutenden jüdischen Minderheit zugute gekommen und hätte dazu beitragen können, den fest in der alten Kirche verankerten Judenhaß aus Spätantike und Mittelalter zu überwinden.
Die andere Seite
Krieg und Kriegstrauma bei den britischen Truppen an der Somme – im Spiegel literarischer und persönlicher Zeugnisse
Harry Patch – so hieß der letzte britische Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, der 2009 im Alter von 111 Jahren starb und sich in seinem Erinnerungsbuch „the last fighting Tommy“ nannte. Mit 18 war er in den Krieg gezogen, als MG-Schütze, und kämpfte bis zu einer schweren Verwundung in Frankreich und Belgien. Jahrzehnte später sollte er schreiben: „Ich habe nie verstehen können, warum mein Land mich von meiner friedlichen Arbeit rufen und mich dazu ausbilden konnte, nach Frankreich zu reisen und einen Mann zu töten, der mir völlig unbekannt war. Warum kämpften wir? Das habe ich mich oft gefragt. Am Ende des Krieges wurde der Frieden am runden Tisch ausgehandelt, warum zum Teufel konnten sie das nicht am Anfang machen, ohne Millionen von Männern zu verlieren?“
Der Mythos läßt sich nicht zähmen
Gustav Schwab zum 150. Todestag am 4. November 2000: Seine "Sagen des klassischen Altertums" sind deutsche Bildungsgeschichte geworden
Den vollständigen Text finden Sie im Buch "Heimatsplitter im Weltgebäude".
Schwab war in einer Person Lehrer und Schulpolitiker, Pfarrer und Kirchenfunktionär, Dichter, Dichtungsförderer, Übersetzer, Reiseschriftsteller und Literaturhistoriker – und das alles auf beträchtlichem Niveau, mit einiger Wirkung und nicht ohne Ruhm! Der Ehrgeiz, so vielseitig zu sein, entsprang dem damals noch lebendigen Wunsch des Bürgertums nach umfassender Entwicklung der Persönlichkeit, wie die Epoche der Klassik sie vorgedacht hatte. Wenn Schwabs Bild heute nur noch blaß und fragmentiert erscheint, dann auch deshalb, weil das Selbstverständnis solchen Bürgertums im Verlauf der deutschen Geschichte zugrunde gerichtet wurde.
Die Extrakte des Evangeliums
Religionskritik antifundamentalistisch: Eduard Mörikes „Wispeliaden“ für Karl Corino zu seinem Siebzigsten am 12. November 2012
Den vollständigen Text finden Sie im Buch "Heimatsplitter im Weltgebäude".
Liebmund Maria Wispel, so heißt der Dichter der „Wispeliaden“, dieser humoristischen Rollendichtung Eduard Mörikes aus dem Jahr 1837. Sie war nur für die Schublade des Cleversulzbacher Pfarrhauses bestimmt – der Öffentlichkeit ferner als alles, was dieser Selbstverberger jemals geschrieben hat.
Vergebens gelebt und gearbeitet
Wie Berthold Auerbach am Antisemitismus seines Ex-Freundes Richard Wagner zerbrach
Der Opernkomponist Wagner und der Dorferzähler Auerbach gehören beide gleichermaßen in die Ahnengalerie des deutschen Frühliberalismus. Beide mußten sie für ihr bürgerlich-revolutionäres Engagement bezahlen: Auerbach hatte 1837 zwei Monate Festungshaft auf dem Hohenasperg abgesessen und schon vorher durch sein radikales Engagement die Rabbinerausbildung verwirkt; Wagner würde 1849 unter Lebensgefahr aus Dresden in die Schweiz fliehen müssen, weil er in der sächsischen Residenzstadt aktiv am Maiaufstand teilgenommen hatte. Letztlich aber überwog das Trennende die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden.
Was nützt sein Tod diesem Lande?
Wilhelm Hauffs Novelle "Jud Süß" von 1827 – ein Meilenstein des Antisemitismus
Den vollständigen Text finden Sie im Buch "Heimatsplitter im Weltgebäude".
Wer Wilhelm Hauffs Novelle als judenfeindlich verwerfen will, dem gelingt dies nach einer ersten, emotionalen Lektüre reibungslos – und besser als nach jeder weiteren. Ja, notgedrungen emotional verläuft diese Lektüre, und es kann kaum anders sein, allein wegen der Sprache, die man nach Auschwitz nicht mehr lesen will, weil sie unrettbar in die Vorgeschichte des Holocaust verwickelt ist.
Die doppelte Angst
Ein fremder Blick auf Maria Wirtemberska - polnische Schriftstellerin und Herzogin von Württemberg
Sie war zu keiner Zeit die regierende Fürstin des Landes, dessen Namen sie trug. Ihre durch Heirat entstandene Verbindung dorthin dauerte immerhin acht Jahre, doch man kann diese Verbindung kaum glücklich nennen. Dennoch behielt die eigenartigste unter allen württembergischen Herzoginnen ihren Namen bei, auch als sie längst keine Herzogin mehr war. Wirtemberska, so nannte sie sich auch weiterhin, und so wurde sie genannt; ihr Vorname: Maria.
Der Knast aller Knäste
Eine Wanderung nach Stuttgart-Stammheim, zum berühmtesten Gefängnis der Bundesrepublik
Ein Häftling steht rauchend in der offenen Tür. Ob wir eintreten dürfen? Sicher, warum nicht. Er grinst: "Sie kommen wegen der Terroristen?" Stimmt. "Morgen kommt das Fernsehen, unsere Zelle filmen", sagt er nicht ohne Lokalpatriotismus. Drinnen läuft ein Fernsehapparat. 32 Kanäle.
Erich Fromm lässt sich nicht täuschen
Neue Dokumente zum Komplex "RAF und Stammheim" in den siebziger Jahren
"Ich würdige Ihren Wunsch beziehungsweise den Wunsch der Angeklagten, daß ich mit Ihnen und Frau ... ins Gespräch kommen möge. Jedoch muß ich zugeben, daß ich einigermaßen erstaunt bin, daß die Angeklagten dieses Gespräch wollen, obwohl sie meine Schriften kennen. Ich hätte eher vermutet, daß meine politische Haltung ihnen so negativ erscheint wie die ihrige es für mich ist. Um es deutlich zu sagen, bin ich radikal gegen ihre Strategie und ihre Taktiken, die ich politisch und auch menschlich äußerst abstoßend finde."
Plötzlich war da dieser Riss
Der Verwaltungsbeamte Kurt Müller – und wie sein Sohn, der Dichter Heiner Müller ihn sah
Am Ende seines Lebens hätte Heiner Müller mit seinem Vater gerne ein Totengespräch Am Ende seines Lebens hätte Heiner Müller mit seinem Vater gerne ein Totengespräch geführt. Um sich zu entschuldigen. Der Vater war ein Linker gewesen. Der Sohn verstand sich zeitlebens gleichfalls als Linker. Was hatte die beiden dennoch getrennt?
Arme Zeisige der Gedankenlosigkeit
Heinrich Heine gegen die schwäbische Schule: zum 150. Todestag des Dichters
Kaum jemand hat den Namen Heinrich Heines so beschädigt wie jene drei Autoren, die von ihm der "schwäbischen Dichterschule" zugerechnet wurden: Gustav Schwab, Wolfgang Menzel und Gustav Pfizer. In seinem "Schwabenspiegel" versuchte Heine, Rache zu üben. Aus Anlass seines 150. Todestages am 17. Februar sei an diese Fehde erinnert.
Als der Krieg und seine größte Schlacht vorüber waren, fragten sich die Überlebenden, wie man darüber sprechen könne, ja, mit welchen Mitteln überhaupt daran zu erinnern sei. Sie kamen zu der Einsicht, daß die Schlacht von Verdun allen, die nicht an ihr teilgenommen hatten, kaum zu vermitteln war.
Einen Biographen wünscht er nicht
Zum 75. Geburtstag des Philosophen Ernst Tugendhat: Ein Gespräch über sein Leben und sein
Er hat Scheu, über sich selbst zu sprechen. Und wenn andere von ihm reden, hört er distanziert, beinahe misstrauisch zu. Wünscht er sich, nach einem langen und abwechslungsreichen Leben, denn keinen Biographen? "Nein", sagt Ernst Tugendhat, "daran bin ich so wenig interessiert, dass der Ausdruck ‚nicht wünschen' viel zu schwach ist."
Wo Sprachwunder aus den Wiesen steigen.
Ein Besuch im württembergischen Warmbronn, dem Heimatort des Dichters Christian Wagner
Den vollständigen Text finden Sie im Buch "Heimatsplitter im Weltgebäude".
Der Ort ist vor allem durch einen Poeten bekannt: durch Christian Wagner, der selten eines seiner in Zeitungen oder Zeitschriften abgedruckten Gedichte unterzeichnete, ohne sich „Christian Wagner von Warmbronn“ zu nennen. Das klingt, als habe er sich durch den Ortsnamen adeln wollen. Oder, als sei es ihm wichtig gewesen, seine langsam wachsende Bekanntheit mit dem Dorf seiner Herkunft zu teilen.